Es ist schon etwas her, seit wir eine konditionell und auch technisch herausfordernde Tour unternommen haben. Am 6. August 2021 wagen wir es wieder einmal – allerdings etwas unfreiwillig. Die Cima di Negrös, wie dieser Gipfel über der Tessiner Riviera auf ‘Hochitalienisch’ heisst (auf noch älteren Karten ist er mit Cima di Groso benamst), besteigt man am leichtesten ab der Rustici-Siedlung Pönn, auf die eine gute Strasse führt. Paul hat gelesen, dass man da hinauf gegen Bezahlung eines kleinen Obolus fahren darf. Aber das war wohl mal so, denn jetzt steht an der Abzweigung bei Rodaglio im Talgrund ein allgemeines Fahrverbot. Nur Autorizzati dürfen jetzt da noch hochfahren, und unsere Wanderlust alleine autorisiert uns wohl nicht wirklich. So stellen wir das Auto halt in Lodrino ab und laufen noch im Morgengrauen via San Martino und Citto nach Pönn, wo gerade die Sonne aufgeht. Weiter geht es – immer auf guten Pfaden – über die Alpe Càuri zur Alpe Motarina. Wenn man ab hier den auf der Karte eingezeichneten Wegen folgt, macht man einen recht grossen ‘Umweg’ über die Alpe Legrina, um schliesslich die Alpe Matro Càuri zu erreichen, die ja eigentlich gleich oberhalb der Alpe Motarina liegt. Paul hat aber auf einer alten Karte einen direkteren Aufstieg eingezeichnet gesehen. Zum Glück ist auf der Alp gerade ein Ortskundiger mit der Motorsense zugange. Er meint, dass der Weg schon noch vorhanden aber halt sehr steil sei. Er zeigt uns auch gleich den Einstieg, und tatsächlich finden wir eine Wegspur, die ungefähr der alten Weganlage folgt. Sehr steil ist es allerdings und im oberen Teil auch etwas ausgesetzt, aber dafür ist die Spur immer deutlich genug sichtbar, so dass wir uns nie verlieren. Ab der Alpe Matro Càuri bis hinauf zum Gipfel der Scíma da Negröüsg findet sich zu unserer Überraschung ein gut herausgeputzter Weg, der uns fast ohne navigatorische Schwierigkeiten durch das Alpenrosen- und Wachholdergestrüpp hinauf zum Gipfel leitet. Nur bei der Cima delle Pecore gibt es ein paar Unklarheiten und hohe Stufen. Dieser Punkt wird nämlich – entgegen den Markierungen auf der Karte – direkt überstiegen. Nach gut fünf Stunden Aufstieg erwartet uns auf dem Gipfel eine herrliche Sicht über die Tessiner Alpen. Der Abstieg – meist weglos, teilweise recht steil und nicht unschwierig - erfolgt nun auf dem Rücken, der vom Gipfel hinunter nach In Negröüscg führt. Ab hier folgen wir einem komfortablen Weg, der uns hinunter auf den Weg leitet, der die Forcarella di Lodrino mit In Álva verbindet. Den Abstieg nach Lodrino hinunter kennen wir schon von zwei anderen Touren (August 2015 und Oktober 2018). Der ist schon ein verdammt steiler und langer Cheib. Und kurz vor dem Ziel landen wir unterhalb von Lègri noch in einem ganz frischen Windbruch, den wir unmöglich überwinden können. Also steigen wir wieder hinauf auf die Strasse, verlieren noch Zeit und Kraft auf einer sinnlosen Abkürzung, die uns dann doch nur wieder zurück auf die Strasse führt, und laufen schliesslich ab San Martino auf der Aufstiegsroute zurück nach Lodrino, welches wir wohlbehalten aber währschaft müde nach gut neun Stunden und über 2000 Höhenmeter im Auf- und Abstieg erreichen. Ein tolle und einsame Tour! Während wir auf fast jede Rustici-Siedlung Leute sehen, treffen wir unterwegs trotz herrlichem Wetter keinen einzigen anderen Wanderer an.